TALENT - FANTASIE - HANDWERK

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Es gibt Autoren, die behaupten, man bräuchte vor allem Talent zum Schreiben. Zum einen sind das meistens Autoren, die das Glück hatten, von einem Verlag angenommen zu werden (und von denen nun ein paar glauben, sie wären "besser" als Indie-Autoren), zum anderen finde ich es sehr schwierig, diesen Begriff in Bezug auf das Schreiben eines Romans abzugrenzen, und zum Dritten hat die Praxis gezeigt, dass das sogenannte Talent regelmäßig untergeht, sobald das Handwerk nicht beherrscht wird.

Auch hat vieles, was als Talent bezeichnet wird, unmittelbar mit Handwerk zu tun. So könnte man z. B. sagen, dass ein Autor ein besonderes Talent hat, seine Charaktere gut zu beschreiben und sie lebendig zu gestalten. Das hat jedoch nur vielleicht zu 10% etwas mit Talent zu tun. Hinzu gesellen sich 10% Fantasie, 30% Menschenkenntnis und 50% Handwerk, denn um einen Charakter lebendig werden zu lassen, bedarf es einer guten Vorstellungskraft, Beobachtungsgabe, Planung und der richtigen Worte, womit wir doch tatsächlich beim Handwerk wären.

Ähnliches gilt für die Geschichte als solche. Was nützt mir das Talent, wenn ich keine Fantasie habe und zudem gar nicht so genau weiß, wie ich die Geschichte überhaupt schreiben soll?

Da Sie diese Zeilen vermutlich lesen, weil Sie Lust dazu haben, zu schreiben, bringen Sie das Talent wahrscheinlich sowieso schon mit. "Mir ist langweilig, ich setz mich mal hin und schreibe was", werden Sie kaum gesagt haben.

Jetzt ist nur noch die Frage, ob Sie genug Fantasie und vor allem genug Ausdauer haben, um das Handwerk zu lernen.
Falls Sie glauben sollten, dass Sie ohne Handwerk auskommen, werden Sie nie eine gute Geschichte schreiben. Ich nehme an, Sie würden mir zustimmen, wenn ich sage, dass Sie, wenn Sie einen Pullover stricken wollten, erst mal lernen müssten, wie man strickt. Das Gleiche gilt für das Mauern einer Wand, dem Bauen eines Regals, Töpfern und was es da sonst noch alles so gibt. Sie können so motiviert und so kreativ sein wie Sie wollen, es nützt Ihnen nichts, wenn Sie es nicht umsetzen können.

Wenn Sie etwas schreiben möchten, sollte die erste Frage, die Sie sich selbst stellen, lauten: Warum will ich das überhaupt schreiben?

a) Weil ich einen Bestseller schreiben und damit reich und berühmt werden oder zumindest eines Tages vom Schreiben leben möchte. - Fangen Sie am besten gar nicht erst an, es sei denn, Sie haben eine Idee für eine absolute Marktlücke, ein noch nie dagewesenes Genre oder ein boomendes Genre, das aber noch oder wieder dünn besetzt ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass das gelingt, ist ansonsten ungefähr so hoch wie von einem Blitz getroffen zu werden. Die Enttäuschung, dass es nicht funktioniert, ist hier vorprogrammiert.

b) Weil ich anderen damit helfen / andere unterhalten will. - Schon besser, aber hier schließt sich umgehend die Frage an: Sind Sie sich sicher, dass andere sich von Ihnen helfen / unterhalten lassen wollen? Denken Sie daran, wie viele Bücher es da draußen gibt, wie viele Geschichten, wie viele Ratgeber. Falls Sie sich dessen nicht so bewusst sind, gucken Sie sich an, wie viele Bücher allein auf Amazon gelistet sind. 250.000 Taschenbücher und 103.000 E-Books nur im Bereich Belletristik. Und in der Masse wollen Sie auffallen? Machen Sie sich eins von Anfang an klar: Die Welt wartet nicht auf Ihr Buch. Und sollte Ihr Buch niemals erscheinen, wird es niemand vermissen. Das ist hart, aber die Wahrheit.

c) Weil es mir Spaß macht / mir die Geschichte, die ich schreiben will, etwas bedeutet. - Das ist die einzige Einstellung, mit der Sie es zu etwas bringen werden. Es nimmt den Erwartungsdruck raus, damit viel zu verdienen, mildert die Enttäuschung ab, wenn genau das eben nicht passiert, oder wenn anderen Leuten Ihre Geschichte nicht gefällt - und solche Leute wird immer geben, egal, wie gut sie ist.



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